
HWK | Mirko Schwanitz
»Das Handwerk muss ein positiveres Bild von sich selbst vermitteln«
Es gibt keine verlässlichen Zahlen, wie viele „Quereinsteiger“ jedes Jahr ins Handwerk finden. Klar scheinen zwei Dinge: Ihre Zahl wächst und das Handwerk wird ohne sie nicht mehr auskommen. Jörn Schelter war einst Kameramann. Jetzt macht er eine Tischlerlehre bei Schilling Interior.
Herr Schelter, „was mit Medien“ ist der Berufswunsch vieler Jugendlicher. War das auch bei Ihnen so?
Jörn Schelter: Bei mir war es schon konkreter. Ich interessierte mich für Bildgestaltung und wollte unbedingt Kamera- und Lichtsetzung studieren. Ich habe dann sieben Jahre als Selbstständiger, später in einer Art Teilzeitanstellung bei einer Werbeagentur gearbeitet.
Was war der Grund, dass Sie sich neu orientiert haben?
Jörn Schelter: Es gab nicht den einen Grund. Immer mehr Inhalte haben immer weniger Wert, weil sie sofort untergehen und Kurzlebig sind. Am Ende verdichteten sich bei mir viele Dinge zu einem Grundgefühl der Unzufriedenheit. Die Medienlandschaft ist im Umbruch. Vieles verlagert sich in den Social Media-Bereich. Dort wollen viele Kunden ein Bild von sich schaffen, das gefärbt ist. Das bereitete mir zunehmend Unbehagen.
Warum dann Handwerk?
Jörn Schelter: Mein Vater ist Tischler. Und ich erinnerte mich, dass ich die Arbeit mit Holz immer als angenehm, vielseitig und lebendig empfand.
Sie hätten doch gleich nach der Schule Tischler werden können?
Jörn Schelter: Ich will es mal vorsichtig formulieren: Das Bild, das mein Vater von der Arbeitswelt in seinem Betrieb mit nach Hause brachte, war so, dass es mich nicht ins Handwerk lockte.
Was hätte Sie denn locken können?
Jörn Schelter: Eine intensivere Vermittlung praktischer Fähigkeiten. Eine frühere und kontinuierlichere Berufsorientierung über alle Schuljahre. Es gibt mehr als 100 Handwerksberufe, mehrere Hundert im Industriebereich. Mal im Ernst, finden Sie nicht auch, dass da gerechnet auf eine Schulzeit von 12 Jahren drei bis vier Wochen Schulpraktika einfach lächerlich sind…
Was würden Sie dem Handwerk als ehemaliger Kameramann raten?
Jörn Schelter: Die Jugendlichen da abholen, wo sie sind. Sie lesen keine Zeitung mehr und schauen kaum noch Fernsehen. Das Handwerk muss Bilder präsentieren und dabei Dinge in den Mittelpunkt stellen, die unserer Generation wichtig sind: Interessante Menschen, spannende Projekte, flache Hierarchien, ein gutes Betriebsklima und klar – auch die Bezahlung spielt eine Rolle.
Wie aber erreicht man Menschen wie Sie, die längst im Beruf stehen und über eine Veränderung nachdenken?
Jörn Schelter: Gezielte Werbekampagnen über Social Media-Kanäle. Ansprache von Studenten, denn es gibt ja viele, die schnell merken, dass sie sich vom Studium etwas ganz anderes erwartet haben. Aber: das Handwerk muss in vielen Betrieben moderner werden. Vor allem in der Betriebsführung. Wenn ich meinen Mitschülern in der Berufsschule zuhöre, würde ich in der Hälfte der Betriebe nicht arbeiten wollen. Was ich meine, ist, dass Bild, dass das Handwerk von sich zeichnet, muss stimmen. Sonst sind die Menschen, die es gewinnen konnte, auch ganz schnell wieder weg.