„Ich war frustriert, aber nicht mutlos“

Stammtischparolen sind Karolin Werkmeisters Sache nicht. Die Sattlermeisterin ist alleinerziehende Handwerkerin. Die Doppelbelastung von Erziehung und Beruf nagt am Zeitbudget. Dennoch engagiert Sie sich – inzwischen auch politisch.

Interview: Mirko Schwanitz_

Frau Werkmeister, sie sind Mutter einer Tochter im Grundschulalter. Wie schwer hat es eine alleinerziehende, selbstständige Handwerkerin?

Selbstständige Handwerkerinnen sind durch den gesetzlichen Mutterschutz nicht so abgesichert, wie alle anderen Mütter in diesem Land. Während angestellten Mütter 100 Prozent ihres Gehaltes während des Mutterschutzes weiter beziehen, trifft das auf selbstständige Handwerkerinnen in der Regel nicht zu. In der Regel ist für sie das Mutterschaftsgeld gedeckelt und unabhängig von der tatsächlichen Höhe ihres Einkommens. Wir haben heute eine Situation, dass eine Schwangerschaft vor allem für alleinerziehende selbstständige Handwerkerinnen existenzbedrohend sein kann.

Sie haben sich deshalb vor einiger Zeit für eine Petition engagiert, die einen besseren Mutterschutz für Selbstständige forderte? Was ist daraus geworden?

Die Petition wurde damals von der Tischlermeisterin Johanna Röh initiiert und ich habe sie mit meiner Unterschrift unterstützt. Am Ende hatten über 111 000 Menschen unterschrieben. Das zwang den Bundestag, sich mit unserem Anliegen zu befassen.

Was genau haben Sie und die anderen Unterzeichner denn gefordert?

Für betroffene Frauen gibt es bis heute so gut wie keine Sozialleistungen. Ich erhielt ein Elterngeld von gerade einmal 300 Euro. Wer bitte soll davon leben? Wir wollen, dass sich da etwas ändert. Es gab mehrere Forderungen. Die wichtigsten für mich waren ein voll bezahlter Mutterschutz für Selbstständige und Ausgleichzahlungen für die Zeit, in der ein Arzt ein „Beschäftigungsverbot“ ausspricht. Die aktuelle Situation stellt aus meiner Sicht eine Diskriminierung von selbstständigen Frauen dar. Deshalb sollten die jetzigen Regelungen an die Lebensrealität von schwangeren Selbstständigen angepasst werden.

Wie könnte so etwas aussehen?

Nehmen wir einmal das von mir genannte Elterngeld. Wie ist es dazu gekommen, dass ich nur 300 Euro erhielt? Ganz einfach: die Bemessungsgrundlage dafür war das Einkommen des Jahres vor der Geburt meiner Tochter. In diesem Jahr aber hatte ich meinen Betrieb gerade gegründet, sehr viel Geld in meine Meisterausbildung investiert und nicht wenig in Maschinen und Ausrüstung meiner Werkstatt. Gleichzeitig gibt es nur wenige Frauen, die bis zum errechneten Geburtstermin voll arbeiten können.

Diese Investitionen haben sie steuerlich geltend gemacht, so dass in diesem Jahr unterm Strich nur ein sehr geringes steuerliches Einkommen stand…

Genau. Und das war die Berechnungsgrundlage für das Elterngeld. Um dann aber diese berechneten 300 Euro zu erhalten, darf man nur eine bestimmte Zeit arbeiten. Arbeitet man mehr, wird entsprechend weniger Unterstützung gezahlt. Hierzu muss man als schwangere Handwerkerin eine eidesstattliche Erklärung abgeben! Das heißt, dass selbstständige und alleinerziehende junge Mütter gezwungen werden, von 300 Euro zu leben. Und das in einer Situation in der die Betriebsausgaben wie Miete, Strom etc. weiterlaufen. Stellen Sie sich vor, man hätte noch eine Angestellte, deren Gehalt weitergezahlt werden müsste! Vor diesem Hintergrund fordern wir auch eine Art Betriebsausfallversicherung, die im Fall von Schwangerschaft und Mutterschaft die Betriebskosten überbrückt.

Was zeigt dieses Beispiel aus Ihrer Sicht?

Es zeigt, dass die Bemessungszeiträume für schwangere Selbstständige eine grundlegende Ungerechtigkeit darstellen. Und wenn ich hier noch einen Einschub machen darf: junge selbstständige Handwerker, denen laut Gesetz ja auch Elternzeit zusteht, stehen vor dem gleichen Problem. Also: das ist unsere Lebensrealität! Dabei könnte hier mit einer Änderung der Bemessungszeiträume sehr schnell geholfen werden.

Wir sprechen hier über die monetäre Seite des Problems. Gibt es noch andere Auswirkungen?

Ja, aber die sind ein heikles, intimes und individuelles Thema. Wie jede Frau, die Kinder haben möchte, stellt sich auch für selbstständige Handwerkerinnen die Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Kind? Hat man ein Kind und zerbricht eine Partnerschaft, steht man als selbstständige und alleinerziehende Unternehmerin vor einem Berg von Problemen, die angestellte Frauen nicht haben. Die Gesamtsituation dieser Frauen ist eine völlig andere.

Inwiefern?

Das Problem hat zwei Seiten: Die eine ist, dass es eines sehr ausgeklügelten und aufreibenden Zeitmanagements bedarf, Unternehmertum und Kindesbedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Nicht selten führt das dazu, das selbstständige, aber vor allem alleinerziehende selbstständige Handwerkerinnen ihr durchaus gut laufendes Unternehmen aufgeben müssen.

Und was ist die andere Seite?

Selbstständige und alleinerziehende Handwerkerinnen haben es schwer, neue Partner zu finden.

Warum denn das?!

Handwerkerinnen sind in der Regel sehr ‚taffe‘, sehr selbstbestimmte Frauen. Sind sie alleinstehend, haben nicht wenige – vor allem im ländlichen Raum – Probleme, Partner zu finden, die mit diesen Charaktereigenschaften umgehen können. Zuerst dachte ich, dass das nur ein Problem ist, das ich allein habe. Aber nachdem ich darüber in Frauennetzwerken sprach, war ich erstaunt, dass viele Kolleginnen in der gleichen Situation das gleiche Problem haben. Das fällt umso mehr ins Gewicht, da man als selbstständige Alleinerziehende neben Beruf und Kind nur wenig Möglichkeiten hat, einen neuen Partner kennenzulernen.

Welche Folgen hat das?

Unterschiedliche. So weiß ich von Frauen, die ihr Kind ungern als Einzelkind aufwachsen sehen wollen und nun über die unterschiedlichsten Wege nachdenken, wie ihr Kind zu Bruder oder Schwester kommt. Das alles ist sehr privat. Wer aber die Diskussionen in den Netzwerken verfolgt, der spürt doch, wie belastend viele Handwerkerinnen diese persönliche Situation empfinden.

Zurück zur Petition. Hat sie etwas erreicht?

Ja. Der Bundestag forderte die Regierung tatsächlich auf, tätig zu werden. Es gab einen Runden Tisch mit der Bundesfamilienministerin. Die Regierung hat zum Thema eine Allensbach-Studie in Auftrag gegeben. Ergebnis: 75 Prozent der befragten Frauen und 81 Prozent der befragten Männer sehen die Probleme selbstständiger und alleinerziehender Handwerkerinnen. 44 Prozent hatten noch nie etwas von bestehenden Angeboten der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungen für selbstständige Frauen gehört. Der Bundestag hat die Bundesregierung daraufhin aufgefordert, gesetzliche Neuregelungen anzustoßen.  Nachdem zuvor fraktionsübergreifend dringender Handlungsbedarf gesehen wurde, brachte die CDU/CSU den Antrag auf eine gesetzliche Verbesserung des Mutterschutzes selbstständiger Frauen im vergangenen Oktober in den Bundestag ein.

Ja, aber der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Ist die Petition also gescheitert?

Nein, keineswegs. Auch wenn Grüne, SPD und FDP im Oktober gesetzliche Änderungen abgelehnt haben, so schuf die Petition doch sehr viel Aufmerksamkeit für unsere Belange. Bei der Ablehnung wurde – aus meiner Sicht vorsätzlich – übersehen, womit der Antrag untermauert war. Nämlich, dass 42 Prozent aller Unternehmensgründer Frauen sind. Und für sie ist die gegenwärtige gesetzliche Lage so, dass Schwanger- und Mutterschaft zur existenziellen Bedrohung werden kann. Das ist auch ein Grund, warum nur 16 Prozent der 3,8 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen von Frauen geführt werden. Wenn man mehr Frauen für die Selbstständigkeit gewinnen will, dann müssen hier zwingend Lösungen her. Daher war ich nach der Ablehnung zwar sehr frustriert, aber nicht mutlos.

Im Mai ist die Einreichung der Petition genau drei Jahre her. Wie ist der jetzige Stand?

Der aktuelle Stand ist nach wie vor derselbe. Aber die Situation ist eine völlig andere: Jetzt haben wir es mit unseren Forderungen bis in den Koalitionsvertrag geschafft! Ich mache mir aber nichts vor. Ich glaube erst an den ernsthaften Willen, wenn hier wirklich substanzielle Änderungen kommen.

 Was erwarten Sie nun von der neuen Regierung?

Nun, jetzt regiert die Partei, die den Antrag im letzten Jahr eingebracht und nun in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat. Die SPD hatte unsere Forderungen ja noch im Oktober abgelehnt. Wir werden jetzt genau beobachten, wie ob sie den Koalitionsvertrag wirklich zu erfüllen versucht, um eine bessere Absicherung von Schwangerschaft und Mutterschutz für selbstständige Unternehmerinnen zu ringen. Oder ob sie die Haushaltslage nutzen wird, die Dinge vor sich herzuschieben. Aber auch in der Gesellschaft muss sich die Mentalität ändern. Ich habe über einen längeren Zeitraum in den Sozialen Medien die Diskussion zu diesem Thema verfolgt. Sie glauben gar nicht, wie viele Kommentare es dort – in großer Mehrheit von Männern – gibt, die sich gegen unsere Forderungen aussprechen. Da heißt es, wir seien zu blöd uns abzusichern, dann sollten wir eben nicht schwanger werden, das sei alles unser eigenes Problem, warum solle die Gesellschaft darum kümmern. Also Sie glauben gar nicht, was da alles abgeht.

Ist diese Frustration für Sie ein Anlass, sich selbst mehr in der Politik zu engagieren?

Das Beispiel der Petition zeigt, dass ich mich selbst drehen muss, wenn ich will, dass der Staat meine Bedürfnisse wahrnimmt. Die Bedürfnisse von uns Handwerkerinnen werden seit Jahren zu wenig wahrgenommen. Auch, weil zu wenige im Parlament, den Kreis- oder Landtagen sitzen. Aus dieser Erkenntnis heraus engagiere ich mich. Aber nicht in den Parteien, die uns Handwerkerinnen seit Jahren im Regen stehen lassen. Ich engagiere mich in der neuen, aber wachsenden „Partei des Fortschritts“. Bei der Bundestagswahl stand sie bereits in zwei Bundesländern zur Wahl. In Brandenburg haben wir in nur einem Jahr die Mitgliederzahl verdoppelt. Auch im Europaparlament sind wir bereits vertreten.

 

 

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